Zeugnisse

Pfarrer Dr. Peter Dyckhoff - Brot für das Leben

Zwei bekannte Diktatoren wuchsen in einem streng christlichen Umfeld auf und wurden zeitweilig gezwungen, regelmäßig, ja täglich die heilige Kommunion zu empfangen. Joseph Goebbels, der 1897 geboren wurde und sein Leben 1945 durch Selbstmord beendete, wuchs in einem äußerst strengen katholischen Elternhaus in Rheydt auf.

Der katholische Albertus-Magnus­‐Verein finanzierte sein Studium der Germanistik. Aus familiären Gründen wie auch aus Gründen der Ausbildung sah sich Goebbels zeitweilig gezwungen, täglich zur Kommunion zu gehen. (Dass dieses bei Jesuiten geschah, die ihn ausbildeten, ist eine Fehlinformation.)

Als Joseph Goebbels seine politische Laufbahn einschlug, wurde er unter Einfluss Oswald Spenglers zum Atheisten, doch trat er niemals aus der katholischen Kirche aus. Als Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda richtete er den gesamten Kulturbereich im Sinne des Nationalsozialismus aus. Er war für die Pogrome des 9. November 1938 verantwortlich und forderte die Deportation der Juden im Wissen, dass diese in die Vernichtungslager führte.

Bevor Josef Stalin (1878–1953) zum Diktator der Sowjetunion aufstieg, war er von 1941 bis 1945 oberster Befehlshaber der Roten Armee. Als Heranwachsender besuchte er das orthodoxe Tifliser Priesterseminar, die damals bedeutendste höhere Bildungsanstalt Georgiens. Es war Pflicht, täglich den Gottesdienst zu besuchen. Unter Stalins Regierung als Diktator wurde die Sowjetunion zur Weltmacht. Stalin ließ Millionen Sowjetbürger und Volksgruppen in Gulags (Strafarbeitslager) deportieren. Viele wurden ermordet oder kamen durch unmenschliche Bedingungen ums Leben.

Die christliche Religion hat diesen beiden Männern, Goebbels und Stalin, das »tägliche Brot« in jeglicher Form eingebläut. Und später haben sie beide auf ihre individuelle machtvolle Weise satanische Praktiken initiiert. Auch heute gibt es Beispiele – die natürlich nicht so gravierend sind –, in denen die Kommunion gedankenlos oder gewohnheitsmäßig empfangen wird.
Ich erinnere mich an ein Erlebnis, das ich am Bodensee hatte, als ich meinen verehrten Lehrer Heinrich Spaemann im Vianney-­Hospital in Überlingen vertrat. Ich machte einen kleinen Ausflug zur Bodenseeinsel Werd, die im westlichen Teil des Sees liegt zwischen Stein am Rhein und Eschenz, um die St. Otmarskapelle zu besuchen. Der heilige Otmar, Abt des Klosters St. Gallen, wurde im 8. Jahrhundert auf Werd in die Verbannung geschickt, wo er kurz darauf starb. Das kleine Kloster neben der Kapelle gehört zur Benediktiner-­‐Abtei Einsiedeln und ist von Franziskanern gepachtet. Die Insel Werd ist über einen langen Holzsteg mit dem Festland verbunden. In der Kapelle finden häufig Hochzeiten statt. Ich sah von der Insel aus, wie sich eine kostümierte Gesellschaft über die Brücke auf die Insel zu bewegte. Die Menschen kamen näher und ich bewunderte die kostbaren barocken Kostüme – es müssen sehr wohlhabende Leute gewesen sein. Als ich das Brautpaar sah, wusste ich, dass sie alle zur Hochzeitsmesse unterwegs waren.

Ich schloss mich an, um unbemerkt die heilige Messe zu besuchen. Der Pater, der die Feier leitete, sprach kein Schuldbekenntnis und vermied, das Wort »Sünde« auszusprechen. Die Hochzeitsgesellschaft antwortete niemals mit dem Wort »Amen«. Sie beteten weder das Vaterunser noch vollzogen sie irgendetwas mit. Der Pater betete allein vor und vollzog den Messritus. Hinter ihm stand ein Kameramann, der in die Gruppe hinein die gesamte Zeremonie filmte. Er filmte weiter als diese Leute, die offenbar überhaupt keine Ahnung vom Ablauf der heiligen Messe hatten, geschlossen – zusammen mit dem Brautpaar – zur Kommunion gingen. Als die Gesellschaft aus der Kapelle gezogen war, blieb der Mann, der filmte, zurück, um seine Kamera, das Stativ und die Scheinwerfer abzubauen. Ich ging zu ihm, da er auf mich einen natürlichen Eindruck machte und freundlich aussah, und fragte ihn: »Machen Sie so etwas öfter?« »Ja«, sagte er, »ich werde dazu aufgefordert und verdiene mein Geld damit.« Als ich ihm dann die Frage stellte, wie er zu so etwas eingestellt sei, antwortete er etwas zögernd: »Ich finde das schrecklich; das ist der Ausverkauf der Religion.«

Dass eine heilige Messe in diesem Stil überhaupt möglich ist, zeigt, wo wir stehen. Ich erlebe es immer wieder, wenn eine Messe für irgendeine Gemeinschaft gefeiert wird – sei es eine Schulklasse, eine Hochzeitsgesellschaft, eine Familie mit ihren Angehörigen, die Feuerwehr, eine Schützen-­Gesellschaft oder eine Trauergemeinde –, dass alle zur heiligen Kommunion gehen. Keiner will zurückbleiben. Dabei ist zu fragen: Haben sich diese Menschen denn wirklich vorbereitet? Ist ihre Seele geöffnet für dieses Mysterium?

Wenn auch viele Argumente dafür sprechen, unvorbereitet zur Kommunion zu gehen im Glauben, dass die damit verbundene Gnade eine heilende und Einsicht gebende Wirkung hat, so möchte ich doch an dieser Stelle auf ein wichtiges Paulus-­Wort hinweisen: Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt. Wer also unwürdig von dem Brot isst und aus dem Kelch des Herrn trinkt, macht sich schuldig am Leib und am Blut des Herrn. Jeder soll sich selbst prüfen; erst dann soll er von dem Brot essen und aus dem Kelch trinken. Denn wer davon isst und trinkt, ohne zu bedenken, dass es der Leib des Herrn ist, der zieht sich das Gericht zu, indem er isst und trinkt (1. Korintherbrief 11,26–29).
In älteren Übersetzungen steht für das Wort »bedenken« das noch aussagestärkere Wort »unterscheiden«. Wer sich generell nicht für Christus und für das Christentum als Lebensform entscheidet, wer nur bei einer gesellschaftlichen Gelegenheit zum Tisch des Herrn geht, weil die anderen auch gehen, der unterscheidet auch nicht. Diese Unterscheidung kommt immer mehr zum Erliegen.

Wir sollten uns auf die heilige Messe und die Kommunion vorbereiten, um Geschmack zu finden an dem, was uns aus der göttlichen Welt entgegenkommt und uns wandeln möchte. Geschmack einzig und allein an dem zu finden, was es in den Supermärkten dieser Welt gibt, reicht nicht aus, um den Hunger unserer Seele zu stillen. »Wir werden, was wir empfangen«, sagt Augustinus in Hinblick auf das eucharistische Geheimnis. Man könnte auch sagen: »Wir werden, was wir sind. Wir sind Kinder Gottes.«

Als Kinder Gottes liegt unsere Bestimmung und Aufgabe darin, mit Gott geeint und zu seinem Ebenbild zu werden. Wir alle spiegeln mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wider und werden so in sein eigenes Bild verwandelt, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, durch den Geist des Herrn (2. Korintherbrief 3,18). Wenn die undurchsichtige oder kaum durchsichtige Hülle von unseren Augen genommen ist, die uns Christus verbirgt, beginnt nach dem zunächst notwendigen Reinigungsvorgang der Verklärungsprozess. Jeder mystische Weg besteht aus drei Stufen: Reinigung, Erleuchtung und Einigung. Wer zum Beispiel das Ruhegebet betet, erfährt nicht nur diese drei Schritte nacheinander, sondern inmitten des Reinigungsprozesses kann für Momente ein Gnadenstrahl einleuchten oder das Einssein mit Gott geschenkt werden.

Es gibt viele Menschen, die beherrscht sind von dem Gedanken an irdisches Auskommen, Fortkommen, an Geld, an Leistung und an einen entsprechenden Konsum. Diese und ähnliche Prioritäten in ihrem Leben bestimmen ihr Verhalten und verhindern es, dass sie tiefere, seelische Bedürfnisse in sich entdecken. Das eigentlich Wesentliche erreicht und verändert das Leben dieser Menschen nicht. Über ihren Augen liegt noch eine undurchsichtige Decke.
Die grundlegende Gnade in unserem Leben besteht darin, dass Gott diese Decke von uns nimmt. Christus hat durch sein Kommen in diese Welt, durch seinen Tod und seine Auferstehung unsere Schuld getilgt und uns Möglichkeiten angeboten und gegeben, dass unsere Seele licht wird. Dadurch wird die Decke über unseren Augen durchlässiger und durchsichtiger. Es ist wunderbar, Menschen zu erleben, in deren Leben die Stunde anbricht, in der ihr Herz sich dem Licht zu öffnen beginnt und sie die Vergänglichkeit und Brüchigkeit alles Irdischen erkennen. Dies geschieht nicht an der Oberfläche des begrifflichen Denkens, sondern in der Tiefe des Herzens, indem sie sich Gott ganz anheimgeben.
Das Sakrament der Versöhnung und vor allem der Empfang der heiligen Eucharistie tragen wesentlich dazu bei, dass der Mensch sich für Christus, für seine Botschaft und für sein Wesen öffnet. Lebendiger Glaube entsteht, eine bis in den innersten Grund reichende Offenheit, damit uns das Wesen Christi und damit das Wesen Gottes einleuchtet. Jesus sagt: Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen (Johannes 14,9). So wie die Erde sich um die Sonne dreht, so bewegt sich der von Gott berührte Mensch um Christus als um das Licht seines Lebens. Hierin liegt ein ahnungshafter Hinweis auf die Auferstehung, in die Christus uns mit hineinnehmen möchte, und auf die kommende Verklärung.

Anschließend ein paar Worte zum würdigen Empfang der heiligen Kommunion. Nach dem Wort des Paulus: Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot (1. Korintherbrief 10,17) sollten wir beim Empfang der heiligen Kommunion wenigstens in Werktagsmessen oder in Messen mit kleinen Gruppen aufeinander warten, um dann gemeinsam mit dem Priester zu kommunizieren. Dadurch wird uns bewusst und wir bringen es zum Ausdruck, dass wir eine Einheit der Liebe bilden. Die Aussage des Paulus sollte nicht nur symbolisch vollzogen, sondern auch leibhaftig werden, damit wir von ihr innerlich ergriffen werden und sie sich auch in unseren Alltag hinein verwirklicht. Es besteht ein großer Unterschied, ob wir aufeinander warten oder ob jeder für sich allein isst.

Sowohl die Hand-­ als auch die Mundkommunion sind möglich, und es bleibt jedem selbst überlassen, welche Form er für sich wählt. Die Handkommunion macht dem Gläubigen deutlich, dass der ganze Mensch von Gott in Anspruch genommen wird. Ich empfange den Leib des Herrn, der sich mir aushändigt, mit meiner Hand, die weniger sündigt als meine Zunge. Wie häufig sagen wir Schlechtes über andere, urteilen vorschnell über sie, üben an ihnen unberechtigte Kritik oder sagen die Unwahrheit. Auf der anderen Seite gibt es viele Gläubige, die eine derart große Ehrfurcht vor dem Allerheiligsten haben, dass sie es nicht mit der Hand berühren möchten. Sie möchten den Leib des Herrn gereicht bekommen und gleich schmecken, was droben ist. Dass viele Menschen dabei knien möchten, versteht sich. »Niemals ist der Mensch größer, als wenn er kniet« (Papst Johannes XXIII. [Angelo Roncalli, 1881–1963]).

Die Entscheidung, ob ich die Hand-­ oder Mundkommunion empfange, steht in keinem Verhältnis zu der Gewohnheit, dass jeder für sich allein kommuniziert. Die Gläubigen kommen einzeln im »Gänsemarsch« vor den Altar und gehen »kauend« wieder zurück. So etwas tut man nicht einmal bei einem gewöhnlichen Mahl, bei dem wir uns um einen Tisch setzen und aufeinander warten, um gemeinsam zu essen. In früheren Zeiten kniete man an der Kommunionbank und stand gemeinsam auf, nachdem alle den Leib des Herrn empfangen hatten. Dieser Rest von Gemeinschaft ist heute in totale Vereinzelung übergegangen. Jeder empfängt die Kommunion für sich, und es dringt nicht ins Bewusstsein, dass hier der eine Herr uns zu einem Leib zusammenführen möchte.

Darum sollte man wenigstens, wie gesagt, die Chance der Werktagsmessen wahrnehmen, um sich um den Altar zu versammeln und mit der heiligen Kommunion aufeinander zu warten. Es muss doch wenigstens einmal während der
Messe zum Ausdruck kommen, dass wir eine Gemeinschaft bilden. In Sonntagsmessen ist es aber auch möglich, gemeinsam zu kommunizieren, wenn man an der Kommunionbank oder an der Stufe zum Altar aufeinander wartet. Einer empfängt das Brot des Herrn und nimmt es nicht eher zu sich, bis sein Nachbar es auch empfangen hat.
Der Priester spricht in der Vollmacht, die ihm die Weihe gibt: »Nehmet und trinket alle daraus: Das ist der Kelch des Neuen und Ewigen Bundes, mein Blut, das für euch und für alle vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Tut dies zu meinem Gedächtnis.« Dieser Kelch enthält den Neuen Bund im Blut Christi. Die Vergießung des Blutes Christi, die Geistausgießung, die Darreichung des Kelches und dieSünden tilgende Geistmitteilung, sind in der Tiefe ein und dasselbe Geschehen. Wer im Trinken des Blutes begreift, was Gott in der Hingabe Jesu Christi für ihn tat und tut, den hat Gottes Geist ergriffen.

Bei jedem Mahl ergänzen sich Speise und Trank. Die einfachste und elementarste Lebensbetätigung ist das Stillen des Durstes. Gleich nach der Geburt beginnt das Kind sein Leben mit dem Wunsch, zu trinken; und das Leben des Sterbenden endet mit dem Stillen seines Durstes. Sowohl das Kind als auch der Sterbende sind angewiesen auf die Liebe, die zu Trinken reicht und den Durst stillt. Die einfachste Lebensform, das Trinken, hat Jesus dazu ersehen, uns seinem himmlischen Vater näherzubringen und unseren Heilsdurst zu stillen. Aus dem Herzen des Herrn fließen Ströme lebendigen Wassers. Im Abendmahlskelch offenbaren sie sich in der sakramentalen Wirklichkeit. Bei jedem Mahl ergänzen sich Speise und Trank. Die einfachste und elementarste Lebensbetätigung ist das Stillen des Durstes. Gleich nach der Geburt beginnt das Kind sein Leben mit dem Wunsch, zu trinken; und das Leben des Sterbenden endet mit dem Stillen seines Durstes. Sowohl das Kind als auch der Sterbende sind angewiesen auf die Liebe, die zu Trinken reicht und den Durst stillt. Die einfachste Lebensform, das Trinken, hat Jesus dazu ersehen, uns seinem himmlischen Vater näherzubringen und unseren Heilsdurst zu stillen. Aus dem Herzen des Herrn fließen Ströme lebendigen Wassers. Im Abendmahlskelch offenbaren sie sich in der sakramentalen Wirklichkeit. Aus der Seite des Gekreuzigten flossen Blut und Wasser (vgl. Johannes 19,34). Die geöffnete Seite Jesu ist der Quellort der Ströme lebendigen Wassers. Dieses Blut und dieses Wasser sind nicht nur Zeichen eines gewöhnlichen Todes, sondern es ist auch geheimnisvoll identisch mit der messianischen Gabe, dem Heiligen Geist. Drei sind es, die Zeugnis ablegen: der Geist, das Wasser und das Blut; und diese drei sind eins (1. Johannesbrief 5,7– 8).

Der Priester sollte des Öfteren die Gläubigen auch zur Kelchkommunion einladen. Dabei muss nicht jeder aus demselben Kelch trinken; der Priester kann die Hostie in das Blut Christi tauchen und sie dann den Gläubigen reichen. Durch die Teilnahme am Kelch, dem Blut Christi, schenkt sich größere Glaubenskraft und innere Erneuerung.
Als ich im Vianney-­‐Hospital in Überlingen den Geistlichen Rektor, Heinrich Spaemann, in seinen priesterlichen Aufgaben vertrat, wurde an jedem Donnerstagabend in der Messe zur Kelchkommunion eingeladen. Es war erstaunlich, wie viel mehr Menschen zu dieser Messe kamen, nicht nur aus dem Hospitalbereich, sondern auch von außerhalb. Es ist offenbar eine Sehnsucht vieler Menschen, zum Leib Christi auch das Blut Christi zu empfangen.

Pfarrer Dr. Peter Dyckhoff, „Dem Licht Christi folgen“, Verlag Herder, Freiburg 2012